Museo svizzero del tiro Berna

Gespensterstunde

Meine erste «Projektarbeit» (wenn man das überhaupt so nennen kann) in der Sekundarschule schrieb ich über das Gespensterhaus an der Junkerngasse in Bern. Offenbar hatte ich schon früh eine Faszination für die sogenannte «andere Ebene». Noch ganz ohne Internet ausgestattet, machte ich mich auf, um «Feldforschung» zu betreiben. Gesichtet habe ich kein Gespenst. Und der kalte «Schauer», der mich in den staubigen, engen Räumen des unscheinbaren Altstadthauses erfasste, war wohl Einbildung. Oder doch nicht? Gespenstern bin ich danach jedenfalls nur noch in Horrorfilmen begegnet, was mir zwar ein paar schlaflose Nächte und böse Träume bescherte, mehr aber auch nicht. Und dann kam der Tag, an dem ich meine Stelle im Schützenmuseum antrat:

Offiziell tat ich dies am 1. Februar 2017. Nach einer kurzen Einführung stand ich alleine in diesem grossen, stillen Haus. Zu dem Zeitpunkt gab es ausser den Aufsichten, die das Museum hüteten, wenn ich nicht da war, nämlich nur mich. Meine Erkundigungstouren brachten mich in überstellte, düstere Depots im Keller, in grosse, kühle Ausstellungsräume und hinauf in einen stickigen, engen Estrich. Erschwerend dabei war, dass mir die Platzierung der Lichtschalter noch keineswegs geläufig war und ich mich nicht nur einmal von dunkelstem Schwarz umgeben und panisch nach dem Lichtschalter die Wände abtastend und mir wünschend, ich hätte mir «The Haunting of Hill House» auf Netflix doch lieber nicht angeschaut, wiederfand. Alte Häuser können gruselig sein und ich war froh, wenn ich mich wieder in mein heimeliges, warmes, freundliches Büro zurückziehen konnte.

Aber auch von hier aus konnte ich es hören: Das Knacken, Scharren, Klopfen. Nichts Ungewöhnliches in alten Häusern möchte man meinen. Aber unheimlich. Warum bewegen sich die von der Decke herabhängenden Fahnen, wenn kein Luftzug durchs Haus weht? Warum brennt im Keller das Licht, wenn ich felsenfest davon überzeugt bin, es ausgeschaltet zu haben? Woher kommt der kleine Handabdruck an der Vitrine, wo doch gestern geputzt wurde und heute kein Kind unter den Besuchern war? Wo ist das gebundene Buch mit den Schützenzeitungen aus dem Jahr 1901 geblieben, wenn es doch gerade noch auf meinem Pult lag? Kichert da etwa jemand (das war zugegebenermassen wohl rückblickend in der Tat bloss eine Sinnestäuschung)? Gibt es hier ein Gespenst?!

Statt weiter verschreckt durch’s Haus zu huschen, wählte ich eine Vorwärtsstrategie. Immerhin ist man als Direktorin des Schützenmuseums sozusagen von Amtes wegen einer gewissen «Furchtlosigkeit» verpflichtet. Und so fing ich an, jeden Morgen beim Eintreten «unseren» Hausgeist zu begrüssen (wenn man alleine ist, kommen einem mitunter merkwürdige Dinge in den Sinn). Auch einen Namen erhielt er. Sir Frederick William Longbottom (denn kommen nicht alle Gespenster eigentlich aus England?), kurz Freddy. Das düstere Depot im Keller ist inzwischen frisch gestrichen und aufgeräumt, die weitläufigen Ausstellungsräume etwas wärmer und der verstaubte Estrich zwar noch immer stickig, aber immerhin erwische ich den Lichtschalter inzwischen auch im Blindflug. Inzwischen bin ich auch nicht mehr alleine, sondern habe – nebst Freddy natürlich – wissenschaftliche Mitarbeitende, die mir Gesellschaft leisten. Das ganze Haus verströmt nun keine unheimliche Atmosphäre mehr, sondern eine einladende. Man fühlt sich wohl in den Räumen und ist gerne da. Etwas, das mir übrigens mehrfach von Museumsbesuchenden bestätigt wurde, ganz besonders auch von solchen, die sich ansonsten wenig für den Inhalt des Museums interessierten.

Mit Freddy spreche ich natürlich immer noch. Regelmässig poltert er im Depot herum, wenn ich dort mit alten Akten beschäftigt bin oder er ruckelt oben mit einem Stuhl, wenn ich einen Stock tiefer unten konzentriert über einem Blatt Papier brüte. Abhilfe schafft dann nur ein «Freddy, hör uf mit däm Seich!». Solchen macht er nämlich gerne: Unlängst hat er darum sogar seinen eigenen Trail durchs Museum erhalten.

Übrigens: Das Buch mit den Schützenzeitungen aus dem Jahr 1901 ist noch immer verschollen. Was er wohl damit vorhat?

Regula Berger
Direktorin im Schweizer Schützenmuseum (in Co-Leitung mit Sir Frederick William Longbottom, der das Haus noch länger und darum noch besser kennt)